Mut zur Lücke für die Wildbienen

05.10.2021, Sandro Meyer
Als Wildbiene lebt es sich im Siedlungsraum relativ gut. Es ist warm, das Blütenangebot recht üppig und Nistplätze sind vorhanden. Doch das Angebot könnte besser sein. Denn viele der selteneren Arten bauen ihre Nester im Boden und sind daher auf offene Bodenstellen angewiesen. Es braucht also dringend mehr entsiegelte Böden.

Vielen Wildbienen behagt das Leben im Siedlungsgebiet. In der Stadt Zürich beispielsweise wurden aktuell in Schrebergärten und Privatgärten sowie auf begrünten Dächern und Stadtbrachen insgesamt 164 Wildbienenarten nachgewiesen. Pro Haus- oder Schrebergarten waren es durchschnittlich 25 bis 30 Arten [1]. Allgemein konnten in europäischen Städten gemäss verschiedener Studien 50 bis 90% der Wildbienenarten nachgewiesen werden, die in der umgebenden Region vorkommen [2] (s. auch der Blogbeitrag "Die Vielfalt der Wildbienen").

Rainfarn-Seidenbiene

Es sind verschiedene Faktoren, die die hohe Artenvielfalt beeinflussen: die klimatischen Bedingungen, die Strukturierung des Lebensraums und das Angebot an Nistplätzen und Nahrungspflanzen (siehe Blogbeitrag Wildbienenparadiese schaffen im Siedlungsraum). Daher ist Wildbienenvielfalt im Siedlungsgebiet vergleichbar mit derjenigen in extensiv genutzten Lebensräumen. Hingegen ist sie höher als diejenige in intensiv genutzten Landwirtschaftsgebieten, weil diese häufig monotone, artenarme Landschaften sind und wenig Kleinstrukturen aufweisen [2].

Schwarzbauchige Blattschneiderbiene
Günstiges Mikroklima für die wärmeliebenden Wildbienen

Siedlungsgebiete weisen oft ein wärmeres und trockeneres Klima auf als die ländliche Umgebung. Dieser Wärmeinsel-Effekt begünstigt das Vorkommen von wärmeliebenden Insekten allgemein und einigen Wildbienenarten im Speziellen [2].

Warme Innenhöfe im Siedlungsgebiet bieten ein ideales Mikroklima für wärmeliebende Wildbienen und eignen sich für Wildbienen-Paradiese mit Nistmöglichkeiten und Blütenpflanzen.
Kleinräumiges Mosaik aus verschiedenen Lebensräumen

In den Siedlungsgebieten liegen die verschiedenen Lebensräume wie Gärten, Balkone, begrünte Dächer, Parks, Verkehrsinseln oder Bahnareale nah beeinander. Dadurch bieten sich den Wildbienen auf relativ kleinem Raum verschiedenste Strukturen, die sie unterschiedlich nutzen können [2]. 

Schrebergärten sind mit ihrem vielfältigen Angebot an Blütenpflanzen und Nistmöglichkeiten ein wichtiger Teil des Lebensraum-Mosaiks.

Wildbienen sind nämlich Teilsiedler. Das heisst, sie nutzen oftmals verschiedene Lebensräume, um Pollen und Nektar sowie Nestmaterialien wie Laub- und Blütenblätter, Harz, Mark oder Erde zu sammeln und ihre Nistplätze anzulegen. Daher ist ein kleinräumiges Mosaik aus verschiedenen und unterschiedlich stark genutzten Lebensräumen sehr wertvoll und fördert die Vielfalt der Wildbienen [2].

Zwischen den Tramgleisen: Trockene Standorte mit Blütenpflanzen bieten Nahrung und Nistplätze für bodennistende Wildbienen.

Ein Beispiel dafür ist die Grosse oder Garten-Wollbiene. Diese Wespen-ähnlich gemusterte Wildbiene sammelt Pollen und Nektar auf Lippen- oder Schmetterlingsblütlern. Die Nester legt sie in unterschiedlichen Hohlräumen an, beispielsweise in Felsspalten, Erdlöchern, Fensternuten oder Nisthilfen [3].

Die Grosse Wollbiene sammelt unter anderem den Pollen des Aufrechte Ziests.

Wie der Name andeutet, sind Wollbienen für den Nestbau auf Pflanzenhaare von wollebildenden Pflanzen wie Königskerzen, Distel-Arten, Quittenblätter, Woll- und Deutscher-Ziest oder Muskatellersalbei angewiesen. Das Weibchen rollt die Pflanzenwolle zu einem Knäuel zusammen, fliegt mit der Wolle zum Nest und kleidet die Brutzellen damit aus. Zudem sammelt das Weibchen ein pflanzliches Drüsensekret beispielsweise vom langhaarigen Habichtskraut, aber auch von Blütenstielen der Hausgeranien oder von Jungtrieben der Brombeeren. Zum Schluss wird das Nest gegen aussen mit Pflanzenhaaren, Steinchen, Erdbröckchen oder Holzstückchen verbarrikadiert [3].

Eine Spalten-Wollbiene beim Sammeln von Pflanzenwolle für ihr Nest. Sie ist mit der Garten-Wollbiene nah verwandt.
Die Bienen brauchen mehr unversiegelte Flächen

Etwa die Hälfte Wildbienenarten, die in der Schweiz vorkommen, nisten in selbstgegrabenen Gängen im Erdboden. Im Siedlungsraum findet man diese Nester in lückig bewachsenen Stellen auf Wiesen, aber auch in den Fugen zwischen den Steinplatten eines Sitzplatzes. Allerdings sind solche Nistmöglichkeiten in Siedlungsgebieten rar. Denn die Böden sind hier meist grossflächig mit Beton oder Asphalt dicht versiegelt [2]. Will man also die vielen bodenbrütenden Wildbienenarten fördern, sollte man vermehrt offene, sandige Flächen am Boden anbieten.

Die Weiden-Sandbiene braucht wie viele andere bodennistende Wildbienen offene Bodenflächen zum Nisten.

Häufiger sind im Siedlungsraum hingegen Nistmöglichkeiten in Fels- und Mauerspalten oder die allseits beliebten künstlichen Nisthilfen („Wildbienenhotels“). Davon profitieren vorwiegend die Arten, die oberirdisch in Hohlräumen nisten. Dazu gehören vor allem die Mauerbienenarten wie die Gehörnte Mauerbiene, die in den Frühlingsmonaten (März-Mai) unterwegs ist, aber auch gewisse Blattschneiderbienen und Wollbienenarten [2].

Blattschneiderbienen und Wollbienen nutzen Mauerspalten als Nistplatz.
Das Blütenangebot muss vielfältig und kontinuierlich sein

Der Siedlungsraum beherbergt viele einheimische und exotische Pflanzenarten, was ein vielfältiges und kontinuierliches Blütenangebot vom Spätwinter bis in den Herbst bedeutet. Im Frühling profitieren beispielsweise die Mauer- und Pelzbienen vom hohen Anteil an frühblühenden Pflanzen [2].

Frühlingsblumen wie die Krokusse werden von Frühlingsarten wie der Roten Mauerbiene besucht.

Da ab Mitte Juni viele Wiesen gemäht sind, werden ab dann Lebensräume mit Sommerblühern wie Rainfarn, Färberkamille, Wegwarten, Natternkopf, Reseden und Malven wichtig für Wildbienen. Diese finden sich häufig an Standorten mit spontan wachsenden Pflanzen wie Brachen, begrünte Verkehrskreisel und Dächer oder in naturnah gepflegten Gärten und Parks. Auch mediterrane Blütenpflanzen und Küchenkräuter wie Lavendel, Thymian oder Küchensalbei dienen den Wildbienen während dieser Zeit als Nahrung.

Blütenreiche Ruderalstandorte im Hochsommer entlang von Strassenrändern sind wichtige Nahrungsquellen für Wildbienen.

Manche Wildbienenarten sind durchaus flexibel, was ihre Nahrungssuche anbelangt. Sie besuchen auch nicht-einheimische Blütenpflanzen, die nah verwandt sind mit den Pflanzen, die sie ursprünglich als Nahrung nutzen. Dadurch können diese Pollengeneralisten das gesamte Bouquet an Blütenpflanzen nutzen und sind daher häufiger anzutreffen. Pollenspezialisten hingegen sammeln die Pollen von nur einer Pflanzengattung oder Pflanzenfamilie für ihre Nachkommen. Zudem schwankt das Nahrungsangebot für sie im Siedlungsraum stärker, wodurch sie seltener vorkommen [2].

Damit also möglichst viele Wildbienenarten im Siedlungsraum leben können, muss zum einen das Blütenangebot ganzjährig vorhanden und möglichst vielfältig sein. Zum anderen braucht es Mut zur Lücke, heisst, mehr unversiegelte Flächen!

Blütenreiche Wiesen im Spätfrühling und Sommer sind Lebensraum für diverse Wildbienen und Insekten.
Verwendete Literatur

[1] Fournier, B., Frey, D., Moretti, M. (2020). The origin of urban communities: From the regional species pool to community assemblages in city. Journal of Biogeography, 47 (3), 615-629.

[2] Zurbuchen Antonia. und Müller Andreas. (2012). Wildbienenschutz – von der Wissenschaft zur Praxis. Zürich Bristol-Stiftung, Haupt Verlag 162 S.

[3] Amiet, Felix., Krebs, Albert. (2014). Bienen Mitteleuropas – Gattungen, Lebensweise, Beobachtung, Haupt Verlag.

Artporträt

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