Zugegeben, Spinnen gehören nicht gerade zu den beliebtesten Untermieterinnen. Trotzdem lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Spinnen sind faszinierende und hocheffiziente Jägerinnen, die jedes Jahr mehrere hundert Millionen Tonnen Insekten fressen und deshalb wichtige Glieder in den verschiedensten Nahrungsnetzen weltweit darstellen. Nicht zuletzt leisten sie damit auch bei uns zu Hause wertvolle Dienste. Helfende Mitbewohnerinnen halten uns den Rücken frei Eines Tages beim Kochen fiel mir plötzlich ein kleines, krümeliges Häufchen am Boden gleich unterhalb einer Schranktür ins Auge. Verwundert nahm ich es genauer unter die Lupe und stellte fest, dass es sich um etwa 30 Ameisen handelte – alle tot und vertrocknet. Woher kamen denn die? Erst dann sah ich, dass etwas abseits neben dem Häufchen ein anderes Tier mit dünnen, langen Beinen und einem zierlichen Körper kauerte: eine Zitterspinne. Völlig unbemerkt hatte mich diese Spinne in den letzten Tagen also vor dutzenden potenziellen Störenfrieden bewahrt. Obwohl ich Ameisen mag, bin ich doch froh, wenn diese nicht in unsere Wohnung einmarschieren. Spinnen hingegen sind mir eher willkommen. © MetalMachine / commons.wikimedia Ausgewachsene Große Zitterspinne (Pholcus phalangioides) mit Nachwuchs. Spinnen vertilgen Millionen Tonnen Insekten pro Jahr Weltweit gibt es über 40‘000 Spinnenarten, wovon knapp 1000 auch in der Schweiz und wiederum weit mehr als 100 davon in städtischen Gebieten vorkommen [1]. Alle Spinnen der Welt bringen Berechnungen zufolge zusammen 25 Millionen Tonnen auf die Waage und alle diese Spinnen fangen jedes Jahr rund 400 – 800 Tonnen Insekten [2]. Zum Vergleich: Die rund 600 Millionen Tonnen Insekten, die die Spinnen verspeisen, entsprechen ungefähr dem Gewicht von rund 3 Millionen Blauwalen, 60‘000 Eifeltürmen oder 100 Cheops-Pyramiden. © Benjamin Jost Die veränderliche Krabbenspinne (Misumena vatia), die auch in blütenreichen Wiesen und Ruderalflächen im Siedlungsraum vorkommt, lauert ihrer Beute bei Blüten auf. Spinnen als bedeutende Glieder im Nahrungsnetz Angesichts dieser grossen Zahlen mag der Gedanke aufkommen, dass die Spinnen am aktuellen Insektensterben massgeblich beteiligt sind. Hier ist jedoch zu bedenken, dass sich Spinnen und Insekten seit Millionen von Jahren gemeinsam entwickelt haben und sich zwischen den Räubern und ihren Beutetieren ein komplexes Wechselspiel eingestellt hat, das die Insekten als Gruppe nicht gefährdet. Im Gegenteil, diese Zahlen und die weite Verbreitung der Spinnen machen deutlich, welch bedeutende Rolle Spinnen neben insektenfressenden Vögeln und Fledermäusen in verschiedensten Nahrungsnetzen einnehmen. Wir können sie also nicht genug schätzen. Ein englisches Sprichwort besagt denn auch: “If you wish to live and thrive, let the spider run alive.” („Wenn Sie leben und gedeihen wollen, lassen Sie die Spinnen leben.“) Ein etwas zwiespältiges Verhältnis Ich liess Spinnen schon vor meiner Begegnung mit dem „Ameisenhäufchen“ in meiner Wohnung stets gewähren. Die Zitterspinne bestärkte mich nun zusätzlich in dieser Haltung. Das war jedoch nicht immer so. Als Kind hatte ich panische Angst vor diesen Krabblern, die viel zu unberechenbar und schnell waren. Ausserdem kostet es mich auch heute noch zuweilen etwas Überwindung, die dutzenden von Spinnennymphen einfach zu ignorieren, die alle auf einen Schlag ihr Nest verlassen und über die Zimmerdecke krabbeln, um ihren neuen Lebensraum zu erkunden. Wunder auf acht Beinen Aber Spinnen sind dermassen faszinierend, dass ich die Angst irgendwann überwunden habe. Je mehr ich mich mit ihnen beschäftigte, desto grösser wurde die Bewunderung und umso kleiner die Angst. Es gibt hunderte interessante Fakten zu den Achtbeinern. Ein paar seien hier erwähnt: Wussten Sie zum Beispiel, dass netzbauende Spinnen keine guten Augen haben, diejenigen aber, die keine Netze bauen und stattdessen ihre Beute direkt anspringen wie die Springspinnen, jedoch sehr gut sehen können? Die Springspinnen, speziell die Männchen, sind deshalb oft farbiger und führen zur Paarung komplexe Balztänze auf [3]. Oder wussten Sie, dass manche Spinnenfäden rund fünfmal belastbarer sind als Stahlseile mit demselben Durchmesser [4]? Oder dass Spinnen ihre Seide nicht nur für das Bauen von Netzen, sondern auch als Transportmittel nutzen? Kleine Spinnen schiessen manchmal bei günstiger Witterung einen Seidenfaden in die Luft und lassen sich so vom Wind davontragen. Die fliegenden Spinnen können sehr weit getragen werden und wurden schon in 10‘000 Metern Höhe gesichtet [3]. Übrigens: Gerade jetzt im Herbst ist eine gute Jahreszeit, um Spinnennetze zu entdecken. Bei feuchtem Wetter kann man sie, von tausenden Tautropfen bedeckt, in der Morgensonne glitzern sehen. © Madeleine Geiger / stadtwildtiere.ch Bei geeigneten Bedingungen bilden sich am Morgen Tautropfen auf den Spinnennetzen. Dann kann man sie besonders gut sehen. Verwendete Literatur [1] Stefan Ineichen, Bernhard Klausnitzer & Max Ruckstuhl. 2012. Stadtfauna – 600 Tierarten unserer Städte. Bern: Haupt. [2] Martin Nyffeler & Klaus Birkhofer. 2017. An estimated 400–800 million tons of prey are annually killed by the global spider community. The Science of Nature, 104:3-4 [3] Pro Natura Basel. 2018. Spinnen: Klein aber fein und hervorragende Technikerinnen, 3/18 [4] Stephen Dalton. 2009. Spinnen: die erfolgreichen Jäger. Bern: Haupt